Der Notruf (12.09.2010)

Irgendwann muss sich jeder seine Schwächen eingestehen – zugegeben, vielleicht wäre es vermeidbar gewesen, gleich vier Mal die Höhenkrankheit zu bekommen, aber ich war schon immer etwas stur. Nachdem ich also zum vierten Mal die Bergbesteigung abbrechen musste, ohne die Spitze zu erreichen, erklärte ich meine Bergsteigerkarriere für beendet. Natürlich mit der Einschränkung, dass dies nur für Berge mit über 5700 m gelte. Dummerweise gibt es in Bolivien kaum niedrigere Anhöhen und die meisten 4000er kann man auch als Wanderer erklimmen. Mit der erschreckenden Vision vor Augen, zu einem Nordic-Walker herabgestuft zu werden, sah ich mich gezwungen, mich nach einem neuen Hobby umzuschauen. Nun gab es einige Möglichkeiten (Downhill, Paragliding etc.), aber das Schicksal hatte bereits für mich entschieden: Auf einer Abschiedsparty traf ich einen äußerst sympathischen Bremer, der kurz davor war auszureisen und noch verzweifelt nach einem Käufer für sein Segelboot suchte. Nun, um es kurz zu machen: 1 Monat später und um 2.000 Dollar leichter konnte ich mich als stolzen Besitzer eines handgefertigen, sechs Meter langen Holz-Segelbootes bezeichnen. Handgefertigt nicht von irgendjemanden, sondern von dem gleichen Mann, der viele Jahre zuvor auch das Boot für Jacques Costeau für dessen Expedition auf dem Titicaca-See baute: Don Ramon.

In Huatajata, der Ortschaft, in der mein Boot liegt, gibt es abgesehen von uzähligen, auf Forelle spezialisierten Restaurants, sogar einen Yachtclub. Den angeblich höchstgelegenen der Welt. Nun, mein Boot liegt nicht in diesem Club. Es wartet auf mich immer ca. 400 m weiter südlich. Wahrscheinlich hätte mich die Mitgliedschaft mehr als das Boot an sich gekostet. So kreuze ich nun als Pirat auf über 3800 Höhenmetern in den Grenzgewässern zwischen Bolivien und Peru – einer beliebten Schmuggelstrecke für Erdgasflaschen und Drogen. Der Titicaca-See ist ganz nebenbei dreizehn Mal grösser als der Bodensee, aber mein Boot liegt auf einem relativ kleinen Areal, ca. von der Grösse des Bodensees. Das besondere ist, dass meistens nicht mehr als vier Boote in Sichtweite unterwegs sind.

Drei Mal waren wir sogar die Einzigen auf dem Wasser.  Nun, bei der letzten Gelegenheit wurde es sogar noch spannender als sonst. Und im Nachhinein auch offensichtlich, weshalb wir die Einzigen auf dem See waren. Wie üblich erkundigten wir uns nach dem Wetter – nun ja, man lernt immer was dazu – und segelten los. Das Wetter war gut, die Mannschaft (2 Holländer, 1 Bolivianerin und ein Pole) motiviert, der Wind genau richtig und das Bier kalt.

Eine Stunde später stellte sich die Situation etwas anders dar: Es zogen Wolken auf, die Mannschaft war besorgt, der immer stärker werdende Wind ließ die Wellen anwachsen, das Bier war alle und die Stimmung, dieses seit den Anfängen der Seefahrerei launischste Mannschaftsmitglied, über Bord gegangen. Das alles wäre nicht so schlimm, wenn sich Murphys Gesetz nicht mal wieder selbst übertroffen hätte.

Bevor ich meinen Gedankengang zu Ende bringen und das Kommando zum Reffen der Segel geben konnte  – d.h. Verkleinern der Segelfläche; ich musste ein wenig mit meinem Wissen angeben bevor die Geschichte ihren natürlichen Lauf nimmt und zu ihrem für mich wenig schmeichelhaften Ende kommt- passierte es.  Eine plötzliche Böe erwischte uns und machte einen kurzen Prozess mit dem Mast. Eine der Wanten (Steilseile an den Seiten des Bootes, die den Mast fixieren) wurde samt ihrer Verankerung aus dem Holz gerissen und die Basis des Mastes durch die plötzlich auftretende Bewegung beschädigt. Uns blieb nichts anderes übrig als die Segel einzuholen und kleinlaut mit dem Motor in den Hafen einzulaufen.

Glücklich über die Tatsache, das Boot mit einem zuverlässigen Aussenbordmotor gekauft zu haben, zog ich mit einem selbstzufrieden Lächeln am Starterseil. Und zog nochmal. Und nochmal. Ich werde die folgende halbe Stunde nicht ausführlich beschreiben, aber das Resultat sah so aus: Ich war irgendwann ausserstande eine leere Bierdose aufzuheben, der Motor hüllte sich aber weiterhin in ein beharrliches Schweigen (obwohl er morgens beim Testen anstandslos ansprang) und der Wind hatte auch noch gedreht – wir wurden von den Wellen immer weiter vom Heimathafen abgetrieben. Zum Glück hatten wir zwei Ingenieure an Bord – leider eigneten sich aber beide eher dazu, eine Produktionslinie für Holzspielzeuge einzurichten als einen Motor zu reparieren. Statt dessen fixierten wir also den Mast soweit es ging und konnten so zumindest das kleine Vorsegel, die Fock, setzen – dies brachte uns kein Stück näher an den Heimathafen, aber zumindest hatten wir so genug Fahrt um den größeren Wellen auszuweichen. Dies gab auch der Mannschaft den erhofften Motiviationsschub. Wir wussten aber, dass wir dennoch nur noch zwei Optionen hatten: Den Wind nutzen und eine der Inseln anlaufen, um in einem der Dörfer ein Motorboot für die Rückkehr anzumieten, oder die Küstenwache/ Wasserschutzpolizei Huatajata zu kontaktieren. Die erste Option hätte dazu geführt, dass wir erst sehr spät wieder auf dem Festland gewesen wären; die zweite hatte aber auch einen kleinen Haken: Es gibt keine Küstenwache/ Wasserschutzpolizei in Huatajata. Also kontaktierte ich per Handy Don Ramon und erklärte ihm unsere beiden kleinen „Probleme“ – kein Hauptsegel, kein Motor.

Don Ramon nahm die Geschicke sofort in seine Hände und mietete ein kleines Motorboot an, das uns zurück in den Hafen schleppen sollte. So weit so gut. Als wir aber eine Stunde später noch immer mehr schlecht als recht als das einzige Boot weit und breit auf dem See kreuzten, rief ich erneut an. Ich verstand nicht allzu viel, aber im Nachhinein (yey, es wird also ein Happy End geben, auch wenn…na ja, ihr kennt mich) stellte sich heraus, dass die Rädchen an Land so schnell in sich griffen, dass das Motorboot losfuhr ohne dass vom Besitzer rechtzeitig überprüft wurde, ob sich genügend Benzin im Tank befand. Zudem stellte sich heraus, dass das Boot zu klein für die aufkommenden Wellen war. Kurzum, der Besitzer kam auf halbem Wege zur Vernunft und kehrte um.

Dies alles half uns natürlich nicht wirklich weiter und ich entschied mich, das Boot vorsichtshalber näher an die Inseln zu manövrieren, für den Fall, dass die Wellen noch höher wurden. Doch Don Ramon hatte nun doch ein größeres Boot gefunden und war auf dem Weg zu uns – diesmal sogar persönlich, denn zuvor hatte er nur seine Tochter losgeschickt. Eine Stunde später  sahen wir endlich das strahlend weiße Boot auf uns zukommen, zwar nicht wie bei Baywatch in voller Fahrt über die Wellen springend, eher gemütlich tuckernd, aber dies war uns inzwischen so ziemlich egal. Denn in der Zwischenzeit hatte der Wind sogar das kleine Segel beschädigt – wir hatten es zwar notdürftig repariert, aber Plan A (zu den Inseln zu segeln) wurde immer beliebter an Bord.

Doch da war es, 10 Meter lang, zwei starke Aussenbordmotoren, glasfasergestärkter Rumpf – und es bereitete sich darauf vor, längsseits zu gehen. Dabei wurde auch der Grund für seine gemütliche Fahrt offensichtlich – leider hatte man die bolivianisch-französische Touristengruppe zuvor nicht an Land abgesetzt. Hier kamen sie nun, Rettung und Erniedrigung vereint. Ich sah schon die 100.000-Klicks-Marke auf Youtube geknackt – dumme Segler konnten nicht alleine zum Hafen zurückkehren. Doch dann kamen mir ausgerechnet die Wellen zu Hilfe – den meisten an Bord des Motorbootes (ca. 10-12 Leute) war so schlecht vom Wellengang, dass sie sich, statt zu filmen, krampfhaft am Rumpf festhielten und mit der Übelkeit kämpften.

Meine Mannschaft machte von dem Angebot, auf das grössere Boot zu wechseln, dankbar Gebrauch (ohne das Kommando abzuwarten, diese Landratten, pah), während die Tochter von Don Ramon auf mein Boot wechselte und das Abschleppseil fixierte (und damit die größte Herausforderung auf sich nahm). Das Angebot eines der französischen Touristen, ebenfalls auf das größere Boot zu wechseln, lehnte ich entschieden und etwas beleidigt ab – mein Boot hielt sich auf dem Wasser und solange sich an dieser Situation nichts radikal änderte, blieb auch ich, zusammen mit dem Häuflein Würde das mir übrig blieb, an Bord. Ich setzte mich ans Ruder, das sich nur noch beidhändig bedienen ließ und achtete darauf, dass sich das Boot beim abschleppen nicht allzu seitlich zu den Wellen stellen und dabei aufschaukeln konnte. Nachdem zwischendurch das Seil ausgetauscht werden musste, da das Erste riss, erreichten wir irgendwann ruhigere, vom Wind geschützte Gewässer. Damit ging auch mein vorerst letztes Abenteuer auf dem See zu Ende – im Augenblick suche ich nach einem geeigneten Ersatz für meinen beschädigten Mast.

P.S. Nicht das ich es mit dem Paragliding nicht versucht hätte – das absichtliche, allen meinen Instinkten widersprechende Zurennen auf einen Abhang hin fiel mir sogar leichter als erwartet. Doch anstatt nach oben zur Sonne, flogen wir mit dem Lehrer wie ein Stein nach unten zu den Felsen und erst nach einem schmerzhaften Aufschlagen erhoben wir uns kurz vor dem endgültigen Abgrund in die Luft, wobei der Begriff majestätisch hier definitiv fehl am Platz wäre. Damit gab mir das Schicksal auf seine übliche, dezente Art und Weise zu verstehen, dass es andere Pläne für mich hatte.

P.S.S. Nun, davon zumindest gibt es ein (im Nachhinein) lustiges Video.

P.S.S.S.  Das mit dem Downhill wird noch überprüft.

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