Tag 21 – Die Ausreisegenehmigung (18.11.2011)

„Ich kann Ihnen versichern, dass Sie definitiv keine Ausfuhrgenehmigung für ihr Fahrzeug brauchen. Wir besitzen noch nicht mal ein Formular dafür.“ Ich brauchte definitiv eine. Und es gab eins. Aber eins nach dem anderen.

Cobija ist eine Grenzstadt in der nordwestlichsten Ecke Boliviens und gleichzeitig die Hauptstadt des Departaments Pando. Auf der anderen Seite des Grenzflusses liegt Brasiléia. In welchem Land ist wohl unnötig zu erwähnen. Die Region um die beiden Städte gilt als tarifäre Sonderzone, wobei die brasilianischen Zöllner mit Argusaugen darüber wachen, dass ihre Landsleute das nicht allzu wörtlich nehmen. Der Vergleich mit dem Grenzgebiet zwischen Polen und Deutschland in den wilden 90ern drängt sich hier nahezu auf. In der bolivianischen Grenzstadt ist jedes zweite Haus (gefühlt) ein Geschäft mit Elektronikartikeln, echten und (meist) weniger echten Markenprodukten, Plastikspielzeug aus China und sonst so allem was blinkt, Laute von sich gibt oder allgemein leicht unters Volk zu bringen ist. Der Verkehr ist im Allgemeinen (ohren)betäubend, die Straßen in den Öffnungszeiten voll von Brasilianern und ein paar wenigen Bolivianern; kurzum das Leben schlechthin. Wen man seine Schritte über die Brücke der Freundschaft lenkt, erreicht man auf der anderen Seite eine komplett andere Welt. Alles ist gepflegter und geordneter, aber auch verschlafener. Hier wiederum scheint jedes zweite Geschäft auf ein Nischenprodukt zum überleben zu setzen: Filp-Flops. Ob Supermarkt oder Modegeschäft – das Markenzeichen des brasilianischen Lebensgefühls darf im Angebot nicht fehlen.

Und wie verhält sich das alles zur Ausfuhrgenehmigung? Nun, der Status einer Sonderzone bringt einen Vorteil mit sich – man kann sich innerhalb dieser mit speziellen Kennzeichen bewegen und braucht diese böse, böse Steuer nicht zu zahlen. Zudem darf man problemlos zwischen Bolivien und Brasilien hin und her pendeln. Und genau hier fingen meine Probleme an. Aus einem Bauchgefühl heraus, das sich nach vier Jahren Bolivien recht zuverlässig einstellt und von einigen als Erfahrung beschrieben werden würde, beschloss ich bereits zwei Tage vor der eigentlichen Ausreise die notwendigen Schritte in Erfahrung zu bringen. Also fuhr ich zur Grenze. Dort angekommen ging ich zielgerichtet ins Zollbüro. „Ein- und Ausreisestempel gibt’s nebenan“, verkündete der Zollner routiniert. „Nix Stempel, ich brauche eine Ausfuhrgenehmigung für mein Auto“, feuerte ich zurück. Der Zollner stutzte kurz. „Neee, brauchste Du nicht, haben wir ja auch gar nicht hier“. Er lehnte sich mit einem zufriedenen Lächeln zurück.  Nicht aller Tage kann man jemandem eine gute Nachricht überbringen und sich selbst viel Arbeit sparen. Was er nicht wusste: Ich wusste dass ich ein Ausfuhrdokument brauchte. Zudem erlebte ich bereits vor ein paar Monaten etwas ähnliches: Der Grenzbeamte meinte seelenruhig bei der Ausreise, ich solle mir keinen Kopf um einen Stempel machen. Alles kein Problem. Vier Tage später lief der gleiche Beamte rot an und herrschte mich an, wieso ich den keinen Ausreisestempel hätte. Ohne den könne er mir auf gar, gar keinem Fall einen Einreisestempel geben. Wir einigten uns damals schließlich darauf, dass ich nie ausgereist war (nein, ohne Trinkgeld). Mit dieser Erfahrung im Hinterkopf gab ich zurück: „Ich will aber außerhalb der zollfreien Zone reisen und das für mehrere Monate.“ Der Zollner blickte jetzt tiefbesorgt auf. Die Gefahr, dass er arbeiten müsste, wurde nun immer realer. Doch dann kam ihm der rettende Gedanke, ein nahezu instinkthaftes Verhalten, tagtäglich trainiert und perfektioniert von Millionen Beamten weltweit. „Also nee, da musst du schon mit meinem Vorgesetzten sprechen. Sowas gibt’s nur im zentralen Büro in der Stadt.“.

Eine halbe Stunde später spreche ich mit dem besagten Vorgesetzten im besagten zentralen Büro. „Also das mit der Sondererlaubnis wird schwierig, normalerweise dürfen die Autos die zollfreie Zone nicht verlassen.“ Ich ahne schon, dass wir Gefahr laufen, die nächsten 20 Minuten aneinander vorbeizureden. „Ich habe aber ganz normale, bolivianische Kennzeichen, nicht die lokalen“, erwidere ich. Wir laufen zum Auto, da der Beamte bezüglich meiner Kenntnisse der bol. Kennzeichen skeptisch bleibt. Doch dann läuft es – ich soll 5 Dollar in einer Bank bezahlen, mit dem Beleg zurückkommen und dann kann ich Bolivien verlassen. Klingt einfach. Zu einfach.

 Ich laufe ich die überfüllte Bank, die Angestellten haben den Versuch, die gesamte Halle zu kühlen, längst aufgegeben und so brummen nur noch die Klimaanlagen über der den Köpfen der Kassierer. An einem der Schalter öffnen zwei Männer jeweils einen roten Rollkoffer und fangen an, diese mit Bündeln von Scheinen vollzupacken. Später werden sie von Polizisten zu ihrem Auto eskortiert. Außer mir achtet keiner auf die beiden, insofern scheint es ein relativ normales Bild hier zu sein. Kein Raubüberfall. Meine Nummer ist dran. Ich trete an den angezeigten Schalter. Die Frau blickt mich entschuldigend an: Zollüberweisungen nur am Schalter Eins. Zehn Minuten später stehe ich davor, doch die mir vom Zoll gegebene Vorgangsnummer stimmt nicht. Ich möge doch bitte einen anderen Code beim zuständigen Beamten erfragen. Ich trete aus der Bank; der Himmel hat sich daran erinnert, dass gerade Regenzeit ist und lässt alles, was er verfügbar hat, niederprasseln. Entsprechend gutgelaunt komme ich im Zollbüro an. Inzwischen ist der Leiter aufgetaucht und übernimmt meinen komplizierten Fall. „Sie wollen also mit Kennzeichen der zollfreien Zone ausreisen?“ „Neeein, mit ganz normalen, legalen, bolivianischen“. „Wieso wollten sie dann bei der Bank die 5 Dollar einzahlen? Die Gebühr ist doch nur für Fahrzeuge der zollfreien Zone vorgesehen.“  Ich entscheide mich dazu, von meinem Recht zu Schweigen Gebrauch zu machen. „Sie brauchen kein Ausreisedokument“. Da wären wir also wieder am Anfang. Ein Strategiewechsel muss her. „Könnten Sie mir dennoch eins ausstellen? Soweit ich es weiß sind ihre Kollegen an den anderen Grenzübergängen manchmal etwas eigen…“ Es klappt. „Nun ja, vielleicht findet sich ja ein Dokument das wir anpassen könnten. Aber eigentlich existiert so ein Formular nicht“. Zehn Minuten später halte ich das nicht existierende Formular in den Händen. „Aus- und Einreise von Fahrzeugen zu touristischen Zwecken, Formular Nr. F249“ verlautet der Titel. Ich kann offiziell ausreisen. Bleibt nur noch das Tanken

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